Digitales Lesen Q2/2013

Von allen Themen, mit denen ich mich regelmäßig beschäftige, inspiriert mich eigentlich nur die Presse zu längeren Texten (was ja auch ganz passend ist).

Trotz aller Unkenrufe gibt es eine immer noch recht große Industrie, die (vor allem) journalistische Inhalte in Schriftform verkauft. Diese Industrie tut sich schwer mit dem Wechsel von Papier auf digitale Plattformen (obwohl die meisten Medienkonzerne keine reinen Verlage sind, es gäbe also durchaus internes Know-How für einen Perspektivwechsel). Allerdings hat auch Rupert Murdochs Imperium vor einigen Monaten einen ambitionierten – oder jedenfalls großzügig finanzierten – Versuch spektakulär in den Sand gesetzt. Blogger und Analystinnen waren sich ausnahmsweise einig: The Daily war zu groß, zu traditionell und zu uninspiriert.

Auf der anderen Seite existiert eine Reihe unabhängiger ambitionierter Projekte, die sich ohne Ballast mit dem Lesen auf digitalen Plattformen beschäftigen. Besonders prominent ist hier The Magazine von Marco Arment. Anfangs habe ich mich über diesen Versuch lustig gemacht – immerhin hat Marco auch die perfekte Lösung für das Bündelproblem traditioneller Magazine im Angebot – aber es scheint zu funktionieren. Mit der Einführung von shareable links, Mobi-/ePub-Versionen und schließlich einem Kindle-Abonnement wird die ursprüngliche iPad-App schrittweise ergänzt (und meinem Leseverhalten angepasst).

Die Frage ist, ob solche Projekte – ähnlich wie die Blogs mit Movable Type oder Wordpress – eine gemeinsame technische Basis benötigen, die es auch technischen Laien ermöglicht, den Erfolg von The Magazine zu wiederholen. Marco selbst hält entsprechende Plattformen für reichlich überflüssig – nicht die Technik, sondern origineller Inhalt mache ein digitales Magazin zu einem Erfolg. Das stimmt sicher zum Teil – eine ablenkungsfreie Oberfläche und durchdachte Sharing-Funktionen sind schließlich keine Geheimformel. Allerdings ist die Darreichungsform auch nicht völlig irrelevant, sonst müssten sich klassische Publikationen mit erstklassigen Autorinnen keine Sorgen machen.

Die bereits existierenden Projekte bekommen einen schönen Sammelbegriff – Subcompact Publishing – und gut gemeinte Ratschläge (mehr als genug).

Ein zweiter großer Bereich des digitalen Lesens wird technisch durch RSS-Streams gestützt – und von Bloggern und traditionellen Medienhäusern gemeinsam bedient. Dies ist der Bereich, in dem ich mich am meisten bewege. Interessanterweise liefert auch für diesen Bereich Marco Arment ein wichtiges Werkzeug: Instapaper. Mit diesem Dienst sammelt man Lesenswertes von beliebigen Webseiten, um es in einer iOS-App zu lesen. Fun fact: Sogar aus The Magazine lassen sich einzelne Artikel an Instapaper schicken.

Theoretisch hat RSS (bzw. der Nachfolger Atom) ein ähnlich solides Fundament wie das Internet selbst: Eine frei verfügbare Spezifikation unter einer offenen Lizenz, so dass RSS-Feeds werbe- und trackingfrei sind. Praktisch verwalten die meisten Menschen ihre Feedliste allerdings direkt oder indirekt mit Hilfe von Google Reader. Bis zum 1. Juli 2013. Die Aufregung ist groß, auch wenn Reader nur widerwillig geliebt wurde. Vor allem in der analogen Welt konstatiert man angesichts der Einstellung des Dienstes ein Google-spezifisches trust problem.

Dabei ist Googles Strategie, kostenpflichtige Angebote zu unterbieten und unprofitable Dienste unsentimental einzustellen, kein neues Phänomen in der Welt der netzbasierten Dienste.

So weit also nichts Neues. Je nach Perspektive hoffen die besorgten RSS-Nutzerinnen auf clientspezifische Lösungen oder auf eine Unterstützung der Reader-API in generalisierter Form.

Manche Menschen beschaffen sich Lesestoff auch über soziale Netzwerke, um der eigenen, RSS-basierten Filterbubble zu entkommen. Das klingt zunächst paradox, aber offensichtlich sind Freundeskreise bei Facebook weniger hermetisch als eine sorgfältig kuratierte Blogroll. Mangels Facebook-Account – beiTwitter folge ich lediglich ein paar Aphoristikerinnen – ist mir dieser Weg verschlossen. Dafür enthält meine Feedlist neben vielen Blogs auch die Feeds mehrerer Zeitungen und Magazine (I know I'm doing it wrong).

Womit wir bei einem heiklen Thema wären: Ich lese den Feed der taz, ohne dafür zu zahlen, habe aber ein digitales Abonnement sowohl der Süddeutschen Zeitung als auch der Zeit. Im Fall der Süddeutschen Zeitung nehme ich tatsächlich auch nur den RSS-Stream (bzw. die Website) in Anspruch – ich zahle also völlig freiwillig (die Zeit bietet auch gut gemachte Mobi-/ePub-Ausgaben). Mein Mediengewissen befindet sich deshalb in einem volatilen Gleichgewicht, wenn ich ausgerechnet die wirtschaftlich schwächste Zeitung nicht finanziell stütze (stattdessen aber meinen Premium-Account für Instapaper nutze, um Artikel u.a. der taz per WLAN auf meinen Kindle zu bekommen).

Irrational, ich weiß. Allerdings nicht irrationaler als der Versuch, journalistische Inhalte online zu verschenken und zeitgleich dieselben Inhalte in unkomfortablerer Form zu verkaufen.