Wenn jemand die Redaktion einer Zeitung oder eines Journals übernimmt, so schicken ihm allerhand Leute, die sich der Schriftstellerei befleißigen, sofort ihre Manuskripte zu und bitten ihn um sein Urteil über ihre Erzeugnisse. Nachdem er in acht bis zehn Fällen diesem Verlangen entsprochen hat, nimmt er schließlich seine Zuflucht zu einer allgemeinen Predigt, die er in sein Blatt einrückt, um allen späteren Briefstellern kundzutun, daß dies ein für allemal seine Antwort ist. Auf dieser Stufe meiner literarischen Laufbahn bin ich jetzt auch angelangt; ich höre auf, denen, die sich bei mir Rat holen wollen, privatim zu schreiben und mache mich an die Ausarbeitung meiner öffentlichen Predigt.
Da die betreffenden Zuschriften alle den selben Inhalt haben und nur dem Wortlaut nach verschieden sind, so lasse ich hier als Durchschnittsbeispiel den letzten Brief folgen, welchen ich erhalten habe:
Den 3. Oktober.
„An Herrn Mark Twain, Wohlgeboren.
Geehrter Herr! Ich bin ein junger Mann, der eben die Schule verlassen hat und im Begriff steht, ins Leben einzutreten. Wohin ich aber auch sehe, finde ich keine Beschäftigung, die mir so recht gefällt. Ist das Schriftstellerleben leicht und einträglich, oder ist es wirklich ein so saures Brot, wie man immer sagt? Es muß doch bequemer sein als viele, ja als die meisten Berufsarten; mich drängt es unwiderstehlich, mich darauf zu werfen. Mag es biegen oder brechen, ich will mein Glück damit versuchen, will schwimmen und untersinken, triumphieren oder erliegen. Wie hat man es denn aber anzufangen, wenn es einem in der Literatur glücken soll? – Fürchten sie sich ja nicht, mir die Sache genauso darzustellen, wie sie ist. Im schlimmsten Fall würde mein Vorhaben eben mißlingen, und davor ist man doch niemals geschützt. Ich habe an die juristische Laufbahn gedacht, auch an fünf oder sechs andere Berufsarten, aber überall fand ich die gleichen Übelstände -–alles überfüllt, vollgepfropft, immer mehr Angebote als Nachfrage, der Erfolg ein Ding der Unmöglichkeit, weil es viel zu viele Hände gibt und zu wenig Arbeit. Aber ich muß etwas ergreifen, und da suche ich denn mein Heil bei der Literatur. Eine innere Stimme sagt mir, daß dies das rechte Feld für meine Begabung ist, wenn ich überhaupt Talent dazu habe. Ich lege einige Proben bei. Bitte, lesen Sie dieselben und teilen Sie mir Ihre aufrichtige, unparteiische Meinung mit. Und dann noch eins – ich bedaure, Ihnen beschwerlich fallen zu müssen, aber erinnern Sie sich daran, daß Sie selbst einmal ein junger Anfänger gewesen sind, und verschaffen Sie mir Arbeit für eine Zeitung. Sie stehen mit vielen Redaktionen in Verbindung, und ich bin gänzlich unbekannt. Auch bitte ich Sie, mir möglichst günstige Bedingungen auszuwirken; ich weiß wohl, daß ich zuerst nicht auf hohe Bezahlung rechnen kann, aber wieviel meinen Sie, daß man für Artikel wie die beifolgenden ungefähr fordern könnte? Ich habe noch eine Menge dergleichen in meiner Mappe, wenn Sie diese unterbringen und es mich wissen lassen, kann ich Ihnen andere schicken, die ganz ebenso gut, vielleicht sogar besser sind.Einer baldigen Antwort usw.
Ihr ergebener usw.“
Ich will Ihnen offen und ehrlich antworten. Ob , was ich zu sagen habe, von großem Werte für sie sein wird, oder ob sie finden werden, daß es sich der Mühe lohnt, meine Ratschläge zu befolgen, sind Dinge, deren Entscheidung ich mit Freuden Ihrem eignen Urteil überlasse.
Zunächst enthielt Ihr Brief mehrere Fragen, die jeder nur nach eigener Lebenserfahrung endgültig beantworten kann. Diese Fragen übergehe ich einfach und erwidere Ihnen folgendes:
Ein Verfahren, wie ich es hier schildere, haben Leute wie Charles Dickens und andere hervorragende Schriftsteller befolgen müssen; aber meinem Klienten wird es schwerlich zusagen. Der junge, angehende Literat ist ein sehr, sehr sonderbares Geschöpf. Er weiß, daß, wenn er Klempner werden wollte, der Meister von ihm ein Zeugnis über sein seitheriges sittliches Betragen verlangen und ihm das Versprechen abfordern würde, wenigstens drei – vielleicht sogar vier Jahre – bei ihm in der Lehre zu bleiben. Er müßte im ersten Jahre die Werkstatt fegen, Wasser holen, Feuer anzünden und in der Pause lernen, wie man die Öfen schwärzt. Zum Lohn für alle diese Dienste erhielte er seine Kost und zwei billige Anzüge. Im zweiten Jahre käme die Unterweisung im Handwerk an die Reihe, und als Wochenlohn würde ihm ein Dollar ausgezahlt, im dritten Jahr zwei, im vierten drei Dollar. Als ausgelernter Klempner könnte er dann wöchentlich fünfzehn bis zwanzig Dollar verdienen; zu einem Wochenlohn von fünfundsiebzig Dollars würde er es aber niemals bringen. Bei jedem anderen Handwerk, für das er sich entscheidet, muß er dieselbe langwierige und schlechtbezahlte Lehrlingszeit durchmachen. Advokat oder Doktor zu werden ist aber noch hundertmal schwerer, denn da erhält er nicht nur während der ganzen Lehrzeit keinen Lohn, sondern er hat noch eine große Summe für seinen Unterricht zu bezahlen und genießt das Vorrecht, sich selbst beköstigen und kleiden zu dürfen.
Das alles weiß der angehende Literat und hat doch die Dreistigkeit, sich zur Aufnahme in die Schriftstellergilde zu melden und seinen Teil von ihren hohen Ehren und Einkünften zu verlangen, ohne zur Rechtfertigung für seine Anmaßung auch nur eine zwölfmonatige Lehrzeit nachweisen zu können. Er würde nur unschuldsvoll lächeln, wollte man ihm zumuten, ohne vorherige Anweisung selbst das einfachste kleine Blechnäpfchen anzufertigen. Aber, ohne Kenntnis der Grammatik, phrasenhaft, weitschweifig und mit den verschrobenen Begriffen von Welt und Menschen, die er sich auf irgendeinem Neste im Hinterwald angeeignet hat, getraut sich der unwissende Gelbschnabel, die Feder, diese gefährliche Waffe, zur Hand zu nehmen und damit die gewaltigen Mächte, Handel, Finanzen, Kriege und Politik, aufs geratewohl anzugreifen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde es einfach lächerlich sein. Der arme Junge wagt sich ohne bestandene Lehrzeit nicht in die Klempnerwerkstatt hinein, aber er scheut sich nicht, mit ungeübter Hand ein Werkzeug zu ergreifen und zu führen, welches Königsthrone zu stürzen, Religionen zu ändern und das Wohl oder Wehe ganzer Völker zu entscheiden vermag.
Wenn der Verfasser jenes Briefes für die Zeitungen, die in der Nachbarschaft seines Wohnortes erscheinen, unentgeltlich schreiben will, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß er so viele Aufträge erhält, als er unter dieser Bedingung nur irgend übernehmen kann. – Stellt sich dann heraus, daß seine Schreibereien wirklich etwas wert sind, so finden sich sicherlich eine Menge Leute, die ihm Geld dafür anbieten.
Zum Schluß will ich ihm als ernste und wohlgemeinte Ermutigung noch einmal die Tatsache zu Gemüte führen, daß annehmbare und lesenswerte Schriftsteller höchst selten sind. Sowohl Buchhändler als Herausgeber von Zeitungen suchen unablässig nach ihnen und zwar mit solchem Eifer, daß sie sich bei dem Geschäft keinen Augenblick Rast oder Ruhe gönnen.